In der Notfallseelsorge...

sind eine Reihe von Diakonen unseres Bistums in verschiedenen Städten und Regionen engagiert:


Notfallseelsorge: Entwicklungen, Gegenwart, offene Zukunft.

Was verstehen wir unter Notfallseelsorge?

„Notfallseelsorge ist ein seelsorgliches Angebot für Menschen, die in Momenten schwersten Leids und existentiellen Krisen mit dem nahen und plötzlichen Tod konfrontiert sind.“ Wir sprechen an dieser Stelle gerne von „Lebenswenden“ und „Schnitt­stellen“, an denen sich der Weg eines Menschen so einschneidend verändert, dass von einem Moment auf den anderen nichts mehr so ist, wie es vorher war.

Notfallseelsorge wird durch Einsatzkräfte des Krankentransportes, des Rettungsdienstes, der Feuerwehr oder der Polizei über eine Leitstelle angefordert. Im Laufe der Jahre hat sich der Notfalldienst mit seinem Blickwinkel der medizinisch-technischen Versorgung oder Rettung auch den Angehörigen oder unverletzten Unfallbeteiligten zugewandt, die menschliches Leid und plötzlichen Tod persönlich und direkt erlebt haben. In solchen Situationen wird das Angebot einer „Seel-Sorge“ gemacht, die speziell auf den Ablauf eines Einsatzes ausgerichtet ist, als eigenverantwortliche Tätigkeit von den Einsatzkräften vorgeschlagen und von den Betroffenen oder deren Angehörigen gewünscht wird. Notfallseelsorge wird in ökumenischer Verantwortung wahrgenommen.

Stabilität und Mobilität der Kirchen

Kirche hat in Zeiten großer Mobilität der Menschen neben der Stabilität im Bereich der Gemeinden und Pfarreien auch auf die Mobilität der Menschen zu reagieren. Wenn Menschen nicht mehr unsere Orte der Verkündigung aufsuchen, müssen wir die Orte aufsuchen, an denen Menschen sich befinden. In der akuten Krise der Menschen kommt Kirche mit der Notfallseelsorge an den Ort des Geschehens und zwar ohne lange nach Gründen für die Bitte zu fragen oder nach Terminen zu suchen - hic et nunc.

Getreu dem Namen Gottes „Ich-bin-da für dich“ reichen die Notfallseelsorgenden dem Menschen in seiner Krise die Hand, begleiten ihn eine begrenzte Zeit und schaffen so Raum für das „Not-wendigste“.

An Schnittstellen des Lebens ahnen die Menschen, dass im Letzten nicht alles von uns und durch uns zu planen ist, dass wir moderne Menschen nicht alles im Griff haben oder regeln können.

„An diesen Schnittstellen menschlicher Lebensläufe sind Beistand und Zuspruch, Orientierung und Deutung, nicht zuletzt Sinngebung gefragt. Das alles wird nicht mehr selbstverständlich vom christlichen Glauben erwartet oder bei den Kirchen gesucht. Dennoch wird gerade in diesen Lebensfragen den Kirchen immer noch und wieder mehr hohe Kompetenz zuerkannt. Dies trifft auch auf Menschen zu, die keine Beziehung mehr zur Kirche haben.“[4] Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt die Chance, dass diese Schnittstellen möglicherweise auch Ausgangspunkte für den persönlichen Neubeginn mit Gott, Glaube und Kirche sind oder ein Grund, nicht aus der Kirche auszutreten.

Indikationen für einen Einsatz

Eine der häufigsten Anforderungen an die Notfallseelsorge ist die im Zusammenhang eines plötzlichen Todesfalls im häuslichen Bereich. In dieser Situation erfahren Angehörige, dass die Rettungsdienstkräfte sie nicht allein mit den Verstorbenen zurück lassen, sondern dass jemand kommt, ihnen beisteht und sich Zeit nimmt für ihre Bedürfnisse.

„Durch die Notfallseelsorge ist die Kirche diakonisch präsent als Trost für Trauernde.“

In der Veröffentlichung der deutschen Bischöfe zur Bestattungskultur im Wandel aus katholischer Sicht unter dem Titel „Tote begraben und Trauernde trösten“ steht unter dem Kapitel „Pastorales Verhalten bei plötzlichen Todesfällen“: „An der Schnittstelle von Leben und oft „unzeitigem“ Tod drängen häufig die Fragen von Sinn, Schuld und Vergebung an die Oberfläche, droht der Verlust an Lebenskraft und Glaubenszuversicht, stehen die Würde des Menschen und zuweilen auch das Selbstverständnis der Seelsorger auf dem Prüfstand und muss sich in der Auferstehungshoffnung bewähren.“

Die deutschen Bischöfe weisen in diesem Zusammenhang auf ein differenziertes pastorales Handeln hin. Die Situation und psychische Verfassung erfordert ein flexibles pastorales Handeln. Das Angebot der Notfallseelsorge ist aus ihrer Sicht ein fachkundiger, achtsamer und bewährter Beistand.

Aufgabe ist in diesen Momenten primär: Menschen zu stabilisieren, zu beruhigen; das Chaos durch Informationen zu strukturieren; den Bezug zur Realität und deren Wahrnehmung möglich zu machen; Worte für das Erlebte zu finden und der Emotionalität Raum zu geben; Abschied zu nehmen und wenn gewünscht, da zu sein mit Gebet und Segen. Dabei heißt es, das soziale Umfeld mit ein zu beziehen und bei Bedarf auf weiterführende Einrichtungen (auf kirchlicher und kommunaler Ebene) hinzuweisen.

Theologisch ist für die Notfallseelsorge ein Aspekt im Raum, der in der Eucharistiefeier mit der Akklamation verbunden ist, die der Diakon oder Priester spricht: „Geheimnis des Glaubens“ und worauf die Gemeinde antwortet: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir ...“

Wer um den Prozess der Trauer Hinterbliebener weiß, der kann sich vorstellen, was es heißt, wenn der Tod nicht verkündet wurde, nicht realisiert wurde, dass ein Angehöriger „end-gültig“ nicht mehr – deutlicher gesagt: nie wieder - nach Hause kommt.

Notfallseelsorge stellt eine unverzichtbare, dialektische Komponente des Preisens der Auferstehung dar. Nur dort, wo Tod verkündet wurde, kann das spätere Preisen der Auferstehung erfolgen.

Übergeht man den Schritt der Verkündigung des Todes, bleibt das Preisen der Auferstehung psychisch wie liturgisch in der Luft hängen, weil seine Voraussetzung fehlt. Seelsorge im Notfall des Todes bringt seine Verkündigung zur konkreten Darstellung.

Notfallseelsorge heute

In NRW gibt es eine einheitliche Ausbildungsvereinbarung die die ökumenische Konferenz der Bistums- und Landeskirchlichen Beauftragten für die NFS gemeinsam erarbeitet haben und den Umfang von 80 Unterrichtsstunden umfasst.

Mit der wissenschaftlichen Fortbildung an der Ruhr-Universität Bochum wird seit dem Wintersemester 2003/2004 eine Veranstaltung (zuerst nur für Notfallseelsorgende, später für Fachberater Seelsorge der Feuerwehr und Mitglieder von Teams der psychosozialen Unterstützung erweitert) durchgeführt, die sich ebenfalls zum Ziel gesetzt hat, eine wissenschaftliche Unterfütterung, aber auch eine Anregung zur Forschung in verschiedenen Bereichen zu geben. Aktuelle Themen sind zu finden unter:

www.rub.de/notfallfallseelsorge.

Perspektiven

Bei der Notfallseelsorge handelt es sich um einen schwerpunktmäßig „diakonischen“ und im Akt des „Hingehens“ und „Daseins“ missionarischen Dienst. In den Wandlungsprozessen unserer Kirchen ist dieser Dienst von steigender Bedeutung in unserer Gesellschaft. Die Fragen nach dem Grundauftrag der Kirche sind gestellt und es soll dort „wo Seelsorge draufsteht, auch Seelsorge geleistet werden“.

Wir stellen allerdings fest, dass in Zukunft immer weniger hauptamtliche Seelsorgende durch Zusammenlegungen von Gemeinden und Diensten in der Lage sind, diese Unterstützung zu leisten. Hier heißt es heraus zu finden, welche Kompetenz von Ehrenamtlichen bei kirchlich engagierten und eingebundenen psychosozial ausgebildeten Menschen es gibt, die an dieser Stelle eingesetzt werden können.

Aber Vorsicht, wenn es darum geht, das Schwergewicht zu verlagern. Ehrenamt braucht hauptamtliche Begleitung. Wenn wir in den letzten Jahren an den Standards gearbeitet haben und unsere Qualifikation heute anerkannt und geschätzt wird, dann muss das auch perspektivisch unsere Auswahl und unser Handeln bestimmen.

Gerhard Dittscheidt spricht von der „Aktie“ Notfallseelsorge und äußert in diesem Zusammenhang eine „Gewinnwarnung“ - und meint damit: es handelt sich um einen tief greifenden Verlust, wenn wir als Kirchen uns möglicherweise aus diesem Aufgabenfeld des Beistandes von Menschen in Not verabschieden.

Abschließend möchte ich nach der „Gewinnwarnung“ auf den „Gewinn“ des Engagements in der Notfallseelsorge hinweisen:

Ein Pfarrer beschrieb ihn auf einer Veranstaltung: mein Einsatz der Begleitung einer jungen Familie, deren Vater plötzlich verstorben ist, hält mir in diesen schwierigen Zeiten vor Augen, warum ich Priester geworden bin – nicht aber die Bearbeitung von Formularen und die Vorbereitung der nächsten Kirchenvorstandssitzung.

Ulrich Slatosch


Feuerwehr und Seelsorge ...

...wird oft gleichgesetzt mit Fahrzeugsegnung und Florians Gottesdiensten. Dies kommt auch vor, aber bei weitem ein Irrtum es darauf zu begrenzen! In Tagen der finanziellen Engpässe der Kommunen werden Neubeschaffungen von Fahrzeugen seltener und die Gottesdienste zum Florianstag sind eher eine regionale Tradition. Was bleibt dann als Seelsorger bei der Feuerwehr?

Wenn man sich vorstellt, dass es in Gelsenkirchen täglich zu einem Todesfall kommt, zudem auch der Rettungsdienst gerufen wird, so kann es passieren, dass der ein oder andere Kollege im Jahr auf 52 Tote kommt. Je nachdem wie der Kollege „gestrickt“ ist, steckt er es weg oder es kommt zu einer Überlastung. Es wird immer häufiger, dass man sich Rat suchend an die Feuerwehrseelsorge wendet und hofft, dass es einem danach besser geht.

So geschehen vor gut einem Jahr, als ich zu einer Einsatzstelle gerufen wurde, an der eine 19-jährige verstorben war. Die Anforderung erfolgte als Notfallseelsorger. Beim Eintreffen fand ich einen Kollegen weinend am Rettungswagen vor und mir ging sofort durch den Kopf: „Hier brauche ich noch einen Notfallseelsorger für die Familie, den Kollegen kann ich jetzt nicht alleine lassen.“ Es stellte sich in Gesprächen heraus, dass es genau der Einsatz war, welcher das Fass zum Überlaufen brachte, es war der Tropfen, der gefehlt hatte. Professionelle Hilfe war von Nöten und schnell konnte der Kollege eine Therapie beginnen. Inzwischen hat er wieder seinen Dienst aufgenommen. In den letzten drei Jahren konnte ich so als Ansprechpartner und Vermittler für 10 Feuerwehrmänner tätig werden.

Gott sei Dank gibt es aber auch erfreuliche Ereignisse wie Trauungen und Taufen. Hier erlebe ich, dass es auch etwas mit der Beziehung zu tun hat. Gezielt wird nachgefragt und begründet mit: „Wir kennen dich ja.“

Dann kann es auch passieren, dass man mit der Trauung im Fernsehen landet. So passiert, als ein Feuerwehrmann aus Herten heiratete und seine Familie ihn bei der Sendung „Weddingplaner“ anmeldete. Eine interessante Erfahrung.

Michael Scholz


„Nur ein Einsatz unter vielen“?

Es war in der Mittagsstunde, als ich über die Notrufzentrale der Feuerwehr über einen Einsatz informiert wurde. Eine Frau hatte den Tod ihres Mannes zu verkraften, der zu Hause verstorben ist. Jahrelang hatten beide das Haus aufgrund ihrer Erkrankungen schon nicht mehr verlassen. Alles, bis hin zum Einkauf war so organisiert, dass sie ein Leben führten, dass wunderbar darauf aufgebaut war, dass sich beide ergänzten. Von nun an hieß es für die Frau, ab heute fallen alle Arbeiten auf mich allein zurück. Kinder gab es nicht. So wurde ich begrüßt mit der Ansage, nachdem ich mich und meine Funktion vorgestellt habe, „mit der Kirche haben wir mal gar nichts zu tun, mein Mann und ich, sind schon vor Jahren ausgetreten. Also fangen sie jetzt bitte nicht mit dem Gebet an.“

Klare Ansage, klarer Auftrag. „Ich möchte auch einfach nur für sie da sein, war meine Antwort.“ Was meine Antwort bedeuten sollte, wurde mir im Rückblick auf diesen Einsatz bewusst. Er begann damit, dass ich im Wohnzimmer erst einmal den Tisch aufräumte, die Tabletten des Mannes entsorgte, die ja jetzt nicht mehr gebraucht wurden und Getränke für die zurückbleibende Frau und mich besorgte.

Dann wurde ich gebeten, ob ich mal eben zum Bestatter, auf der anderen Straßenseite gehen könnte, damit die Beisetzung, an der sie selbst ja nicht teilnehmen konnte, organisiert wurde. Auch dies wurde schnell erledigt. Danach regelten wir noch den wöchentlichen Bringedienst im Supermarkt, da von heute an ja kleinere Mengen benötigt wurden. Auch der Anruf bei der Krankenkasse fehlte nicht, da ein neuer Rollstuhl für die Frau benötigt wurde, da der alte nicht durch die Badezimmertür passte. Bisher hatte ihr Mann ja alle Arbeiten im Bad erledigt.

Schnell wurde die direkte Nachbarin noch auf der Arbeitsstelle informiert, die die weitere Begleitung übernahm. Nach einigem Möbelrücken, damit die Frau mit ihrem Rollstuhl nun überall hinkam, konnte ich mich verabschieden. Ohne Gebet, aber mit dem Wunsch um Gottes Segen. Wochen später, dieser Frau gab ich ausnahmsweise meine Handynummer, schellte mein Handy und jene Frau war am anderen Ende, mit der Bitte, ich möge doch noch einmal vorbeikommen. „Wissen sie“, so sagte sie, „ich kann noch keinen Abschluss finden, ich habe für meinen Mann noch nicht gebetet, kommen sie doch bitte zu mir und beten sie mit mir.“

Mein Rüstzeug in der Hand, machte ich mich auf den Weg zu ihr. Beim Ankommen in ihrer Wohnung, merkte ich wie gut sie alles umgesetzt hatte, damit sie nun alleine zurechtkam. Nur das Gebet fehlte noch. Nachdem ich nun mit dem Kreuzzeichen begonnen hatte, übernahm die Frau die Gebetsführung in einer Art und Weise, wo ich für einen kurzen Moment ganz sprachlos war. Eine tiefe Verbundenheit im Gebet und durchs Gebet war zu erkennen, bei einer Frau, die mich damals mit den Worten empfing, „ aus der Kirche sind wir schon lange ausgetreten, also fangen sie jetzt nicht mit dem Gebet an.“

Was mir blieb, war ihr den Segen Gottes zuzusprechen und den Dank von ihr mitzunehmen, dass sie nun von ihrem Mann wirklich Abschied nehmen konnte. Als Beschenkter trat ich meine Fahrt nach Hause an, in der Gewissheit, erlebt zu haben, wie wertvoll Notfallseelsorge ist, Seelsorge in der wir Christus ein Gesicht geben.

Herwarth Schweres